Montag, 26. Oktober 2009

Ich habe es also tatsächlich wieder in meine Wohnung geschafft. Nachdem ich euch geschrieben hatte bin ich noch in ne Bar und hab meinen letzten Peso versoffen (aber von dem einen Bier bin ich irgendwie nicht betrunken geworden). Naja, jetzt sitz ich im Wohnzimmer an einem schönen Sonntagabend zusammen mit Eric Clapton bei einem Mariposa (Schmetterling): Mein Lieblingsgetränk, rumähnlich mit Honig gemacht und ich misch es mit Coke.
Dieser Beitrag wird leider nicht so wie geplant, da ich meine Aufzeichnungen verloren habe, sorry.
Aber anders als damals in Guatemala will ich euch eh nicht mehr mit allen Einzelheiten plagen und so geht’s nun halbwegs unsortiert los:

ALLTAG

Fangen wir mit dem Schlimmsten an: nein Spaß, so schlimm ist er nicht.
Im September war ich mit meiner Hausarbeit über indigene Bewegungen in Ecuador beschäftigt, so dass ich die Nachmittage meist vorm PC hockte. Dies ist nun vorüber und ich kann endlich wieder vor meinen Büchern hocken. Tatsächlich bin ich dazu gezwungen hier mehr zu machen, als dies in Köln der Fall ist. Irgendwie hab ich Domme im Ohr, der vom Nachtleben und überhaupt von allem hier schwärmte. Ich fürchte ich kann dir nicht mit ausreichend Stories weiterhelfen, mein Lieber, (aber ich vermiss die Pokernächte!)
Ich lese also viel (eher wenig weil langsam, aber es ist ja entscheidender wie ich das wahrnehme...), treibe viel Sport (Krafttraining und Taekwondo im achten Stock auf dem Dach) und erlebe auch faszinierende Dinge...


auf meinem Dach


Forschung vor Ort


Nun hat die nächste Hausarbeit für Köln begonnen, ich widme mich den Machtverhältnissen Demokratische Kräfte vs. Militär in der Konsolidierungsphase nach 1983 in Argentinien (1976-1983 war Argentinien Militärdiktatur hässlichster Sorte mit ca. 30 000 Ermordeten).
Spannenderweise werde ich dank meinem Freund Benni die Möglichkeit haben, den damaligen Wirtschaftsminister zu interviewen und wahrscheinlich auch einen ziemlich berühmten Historiker, was natürlich ziemlich spannend wird.
Ich renne seit letzter Woche nahezu täglich in die Nationalbibliothek. Deren Bestand ist allerdings noch echauffierender als die peniblen Regeln (ich darf mein Wörterbuch nicht mitreinnehmen, was zu r Folge hat, dass ich nicht an den geilen Tischen mit Meeresblick!!!, sondern oben sitzten muss, wo ich mich nicht entscheiden kann, ob die Luft oder die dauerhaften konversationbetreibenden AngesteltInnen mir die Konzentration rauben), aber das Ambiente ist eigentlich cool.


Ivan- das Opfer der dritten französischen Revolution

Tja, nun hab ich euch so lange nicht geschrieben und es ist geschehen: IVAN IST AUSGEZOGEN. Das ganze hatte sich ziemlich hinausgezögert. Er hatte es nach einem Streit mit Pablo angedeutet. Ich bin froh drüber, denn dieser Mensch ist einfach unfähig in einer Wg zu leben, wo die anderen zumindest auch noch leben wollen.
Nachdem ich aus seinem 9qm Zimmer zusammen mit ihm ca. 40 Kartons geschleppt hatte (Die Geheimkammer suche ich bis heute) durfte ich zum Abschluss noch sein Zimmer reinigen.
Dann folgte ein Casting. Da Pablo niemanden kannte, schrieb ich ne Rundmail an die ausländischen Studis, und nun lebt mit uns APOLLINE aus der Normandie.
Sie studiert das selbe wie ich nur zielstrebiger, kocht fantastisch, macht noch bessere Deserts und ist ein lustiger, wenn auch manchmal schwieriger Typ (also ähnlich wie ich, bis auf die Charakterzüge). Seitdem bin auch ich zum studieren und kochen angehalten, zur Rache konnte ich sie nun endlich ins Krafttraining einbeziehen, da sie ständig über ihren Rücken klagt (deswegen lese ich nicht so viel).
Wir haben hier in der WG meist viel Spaß, es wird viel gelesen und nahezu immer zusammen nach argentinischer Tradition um 22 Uhr warm zu Abend gegessen. Ich halte mein Gewicht...
Nachts liege ich mit Pablo im Zimmer, wir quatschen noch und lachen uns meist über irgendwas tot. Den vermisse ich jetzt schon, ganz sicher.


Pablo, Apo, ich

Die periphere Zigarettenfabrik

Damit meine ich meine Fakultät. Die ist nämlich ne alte Zigarettenfabrik und war dies nicht immer. Aber sie wurde an ihren jetzigen Standort verlegt, weil die von ihrem damaligen aus organisierten Straßenblockaden doch zu effizient das Alltagsgeschehen behinderten. Mit anderen Fakus gings ähnlich.
In der Wahlwoche vor 4 Wochen kam echt jede Stunde zwei Parteien rein und unterbrachen die Lesungen. Aber so gibt es zwar engagierte StudentInnen, aber die Mehrheit scheint nahezu so letargisch wie bei uns.
Nun sind diese Leute weniger präsent, aber es gibt neue Besucher. IMMER kommen Kinder rein, die dir Karten (Horoskope oder Liebessprüche), die sie irgendwo her haben auf den Tisch legen. Erst hab ichs nicht gecheckt, aber für diese kleine Aufmunterung möchten sie ein paar Cents. Meist gebe ich was, bin damit in der absoluten Unterzahl, und weiß auch nicht immer obs korrekt ist.

Elsa- zwischen Penisneid, Brustbewunderung und deutscher Philosophie

Hierbei handelt es sich um meine bereits erwähnte Dozentin, in deren Genuss ich Dienstags zwischen 9 und 13 Uhr komme. Vier Stunden kämpfe ich da für Emanzipation, Klassengleichheit und gegen meine Müdigkeit. Elsa ist die extremste Feministin, die mir je unterkam und ich arbeite in Köln mit einigen zusammen, die ich für ihren starken Willen, ihre Denkensweise und ihre Überzeugung respektiere und schätze. Das tu ich bei Elsa eigentlich auch, aber nicht immer. Sie kommt mit alten Theorien von Freud , Phallus, Penisneid (Frauen fühlen sich unterlegen, weil sie keinen Penis haben); wir müssten diese alten Theorien kennen um das jetzt zu verstehen. Tatsächlich verstehe ich langsam das Jetzt immer besser, Themen, die bei uns was Emanzipation angehen längst etabliert scheinen, sind hier noch revolutionär (es wird äußerst spannend, da mit meinen KolegInnen in Köln drüber zu debattieren). Unterdrückung ist hier natürlich in einem Land, wo der Marchsimo in LA wohl mit am stärksten ist, natürlich omnipräsent. Dies kommt auf dem Arbeitsmarkt wie in der Musik (Tango) zum Ausdruck, wobei die sexistische deutsche Rapszene ja auch nicht zu verkennen ist.
Zurück zu Elsa: um den Zusammenhang zwischen Klassen- und Geschlechterkämpfen zu verstehen , widmen wir uns Marx und Adorno& Horkheimer („ORKAIMÄRRRRRR“ auf spanisch). Um deren „Dialektik der Aufklärung“ zu durchdringen saß ich letzten Sonntag 8 Stunden
vorm PC um dann am Dienstag festzustellen, dass Elsa das auch mal hätte tun sollen. Meiner Ansicht nach hatte sie die zentrale Botschaft des Textes nicht erfasst, was ich dann auch öffentlich im Kurs (natürlich indirekt, ihr kennt mich doch...) artikulierte. Sie regierte stockend auf meine Anmerkungen und ich war ein wenig erschrocken, das kannte ich so von ProfessorInnen nicht, naja...
Schwierig war auch ihr Auftritt vor 3 Wochen: mit knappem Kleid, hohen Hacken und tiefem Auschnitt entblößte sie einen Meter vor dem armen Tobi ihre Erkenntnisse. Man muss sagen, dass es ihm schwer fiel, vor einer für ihre 45 Jahre attraktiven, scharfsinnigen Frau, deren Dialektik emanzipatorischer Gedankengänge in Anbetracht der femininen optischen Reizung für revolutionärer als die letztere zu erachten.
Elsa ist in jedem Fall intelligent, provokativ und durchaus liebenswert, durchaus streitbar und teilweise unverständlich,und manchmal merkwürdig unsicher . Es bleibt spannend...

Das Ende des Pseudovegetarismus & Kulinarische Phänomena

Ja, genau jenes ist eingetreten. In Köln betrug mein Fleischkonsum ca. 10% , hier schwankt er zwischen 130 und 160%. Ja, natürlich habe ich hier das beste Steak meines Lebens, vom Grill in Champignonsoße mit Kroketten für 7,36 Euro nach aktuellem Wechselkurs gegessen.
Wesentlich alltäglicher sind aber die Empanadas. Falls unerwarteter Weise meine kontinentale Revolution scheitern sollte, werde ich eine kulinarische in Deutschland durchführen.
Es handelt sich um Teigtaschen gefüllt hptsl. mit Hühnchen, Hack oder Schinken&Käse. Weltklasse!!!!!!!!!
Wir essen aber auch viel Gemüse aus den Gemüseläden, die alle 100 Meter auftauchen und Obst. Ein gewisser Opimismus ist von Nöten um den BolivianerInnen (die das Gemüse im Norden Argentiniens anbauen) ihre chemiefreie Überzeugung abzukaufen. Gute Salate oder Gemüse sucht man in Restaurans aber meist vergeblich, auch das Brot ist stets weiß, Käse teuer und ungenießbar.


Eine ganz normale Möhre

Ebenfalls atemberaubend ist das köstliche Eis, das man hier noch morgens um 2 kaufen kann. Jede Eisdiele verfügt über mindestens 30 Sorten, es ist der Wahnsinn!!!! Argentinien ist übrigens nach den Steaks für sein Eis weltbekannt, was wohl auf die vielen italienischen EinwanderInnen zurückgeht...
und was die Uhrzeit angeht , kriegt man hier fast überall immer alles zu essen (ich freu mich schon wieder mit Ulf nachts um 24 Uhr durch Tornesch zu fahren, um über den nichtexistierenden Dönermann zu fluchen, wo dann auch Henni zugeben muss, dass selbst in Heidgraben, wo ja bekanntlich wesentlich mehr geht, der Grieche auch ab Mitternacht oder früher an seiner Matraze horcht).

Muy, pero muy buenas noches ( Einen sehr, aber wirklich sehr guten Abend)

...wünschen dir Menschen in der Bahn, die dich viel besser kennen als du selbst, sonst wüssten sie nicht so sicher, dass du das brauchst, was sie dir verkaufen wollen. Es ist einfach unglaublich, was für Reden die schwingen, die dir klar machen, dass wenn du die Kopfhörer, Stifte, Taschenlampen, Sticker oder Zopfgummis nicht brauchst, zumindest deine Schwägerin nicht ohne sie leben kann und sie dir böse sein wird, wenn du ohne was vorbeikommst. Am erstaunlichsten ist, dass die VerkäuferInnen dir die Sachen voller Vertrauen auf den Schoß legen, damit du dir sie auch in Ruhe angucken kannst, und nach 2 Minuten wiederkommen, um sie einzusammeln. Auf Klauen kommt dabei niemand, in meinen Augen in Deutschland völlig undenkbar...oder?

Im Nachtleben muss man acht geben

...oh ja liebe Freunde.
So wurde ich mit ins AMERIKA geschleppt. Wenn du bürgerlichen Leuten, derer es ab 25 manche hier zu geben scheint, erzählst, dass du da warst, musst du schon mit gewissen Blicken rechnen.
In der Tat ist dieser Klub bizarr. Am Wochenende zahlst du 6 Euro für Frei-Saufen.
Mucke so Elektro bis Raeggeton, aber zweitrangig. Amerika ist das, was dem Papst 2 Wochen Beichtstuhl mit Paracetamol einbrächte. Es wird rumgeknutscht (Geschlecht, Person bekannt oder unbekannt zweitrangig), es gibt einen Darkroom wo, naja, so manches geht, um 4 uhr samstags gibt’s ne Travestieshow. Doch eines ist noch bemerkenswerter: Weder sind die Leute aggro, noich sturz betrunken oder extem notgeil. Es herrscht Liberalität mit respekt, so lächerlich das auch klingen mag.
Ansonsten waren wir mal in nem SKA-Club und am freitag mit nen paar deutschen Kumpels in ner BalkanPAAdy.
Eins ist aber überall gleich: UM 2 Uhr ist der Klub leer, wenns ne Lifeband gibt, fängt die eigentlich nicht vor 3 an und die Schlange ist um halb vier noch mindestens 30 Leute lang.
Dat is schon n beten komisch...
so jetzt bin ich müde, aber um nen allroundblick zu geben fehlt noch eins:

Der Argentinier an sich

Wie isa denn nu? Zum kotzen , diese Frage! Diese Gesellschaft erscheint mir gespaltener als ich dachte:
Wir haben es hier mit einer europäisch-ähnlichen Mittel- und Oberschicht zu tun, mit Menschen in menschenunwürdigen Lebensverhältnissen und mit krassen Stadt- Land-Unterschieden.
Die Menschen hier in der Stadt erscheinen dauergestresst, Blickkontakte werden vermieden und eine gewisse Angst in Anbetracht steigender Kriminalität steigt an.
Aber jede/r hat mir bisher in allen Belangen superfreundlich weitergeholfen, Leute begleiten mich, um mir den Weg zu zeigen. Ich kann kein Urteil fällen, und will es auch nicht. Mein Eindruck ist eben dieser.
Allzu viele Gespräche hatte ich leider noch nicht, in der Uni erscheints schwer, Leute kennenzulernen. Aber das ist erstmal ok, liegt auch an mir.
Ich bin jedenfalls noch nie einer solchen Vielfalt begegnet, teils fühlt man sich wie in Deutschland, teils wie in Guatemala-City. Es gibt Armutsviertel, die wenn man nicht will nie zu sehen bekommt, die Stadt versteht es , die Armut zu verstecken.
Doch öffnet man die Augen und fragt ein wenig, wird sie klar. Kioskangestellte verdienen 80 Cent die Stunde, sie müssen in VILLAS, den Armutsvierteln lesen, spätestens seit dem CRASH 2001. Gesunde Ernährung ist für sie unbezahlbar.
Cartoneros fahren überall. Das sind Menschen, die wie ein Esel einen riesigen Karren hinter sich herziehen, auf dem sie Flaschen und Kartons, die sie aus dem Müll gesammelt haben, in Recycling-Center bringen.
In meinem Viertel schlafen viele auf der Straße, es wird wohl eher mehr in Buenos Aires.
Dann fährst du mit einem Bus aus armen Vierteln in Partyviertel, gar nicht weit weg, wo plötzlich alles anders aussieht. Das braucht manchmal Kraft und Geduld, damit man drauf klarkommt.
Dieses Thema verdient viel mehr Platz und wird ein andernmal noch differenzierter präsentiert.
Aber erstmal reichts.


Cartonero


Ich drück euch alle und genießt eure Nächsten, die Natur, den Reichtum und schaltet den Fernseher ab!

In Liebe

Nilo


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